Einsamkeit kann alle treffen

«Soziale Isolation ist vergleichbar mit einer chronischen Krankheit»

Prof. Dr. André Fringer doziert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und ist Pflege- und Gesundheitswissenschaftler. Er zeigt auf, welche gravierenden Folgen Einsamkeit auf den Körper, die Psyche und die Gesellschaft hat und was dagegen helfen kann. Im Rahmen der Aktionstage Psychische Gesundheit hält er am 19. September 2023 einen Vortrag in Lenzburg.
Prof. Dr. André Fringer hält am 19. September einen Vortrag in Lenzburg zum Thema Einsamkeit.

Welche Personen sind von Einsamkeit betroffen?

André Fringer: Alle Altersgruppen und soziale Schichten sind davon betroffen. Insbesondere unter älteren und pflegebedürftigen, aber auch jungen Menschen nimmt das Problem bereits heute pandemische Ausmasse an.

Wie unterscheiden sich Einsamkeit und soziale Isolation?

Es sind sehr verwandte Konzepte. Einsamkeit ist häufig temporär und kann eine Art Vorstufe sein. Soziale Isolation hingegen ist vergleichbar mit einer chronischen Krankheit. Sie kann den Alltag und die Normalität massgeblich bestimmen und diese negativ beeinflussen.

Welche Folgen können Einsamkeit und soziale Isolation haben?

Die Folgen sind vielfältig und äussern sich in Form von Angst, Depression, Stimmungsstörungen oder auch Ärger. Sie beeinflussen aber auch körperliche Leiden wie zum Beispiel Rückenschmerzen oder Schlafstörungen. Sie führen zu einer erhöhten Sterblichkeit und Selbstmordrate und können die Entwicklung von Demenz fördern. Studien belegen, dass Einsamkeit und soziale Isolation für einen erheblichen Anstieg von Gesundheitsausgaben verantwortlich sind. Dieses Thema bedeutet gleichzeitig eine grosse Herausforderung für die Gesellschaft und die Politik. Grossbritannien hat deshalb 2018 einen Minister für Einsamkeit eingesetzt, um Strategien für deren Bewältigung zu entwickeln.

Weshalb sind so viele Menschen in der Schweiz einsam?

Es kann unterschiedliche Gründe geben, weshalb sich jemand einsam fühlt. Ich nenne hier drei Hauptfaktoren, einer davon ist die erhöhte Individualisierung. Sie führt dazu, dass immer mehr Menschen in der Schweiz allein leben. Trennungen und Scheidungen sind häufig. Schweizerinnen und Schweizer haben im Schnitt 1,5 Kinder. Mit dieser demographischen Entwicklung wird sich das Phänomen der Einsamkeit künftig noch zuspitzen.

Und was sind die beiden anderen Faktoren?

Auch die Digitalisierung trägt ihren Teil dazu bei. Viele bestellen das Essen oder die Kleidung nach Hause. Auch Arbeiten geht heute ohne Probleme von zu Hause. Freundschaften und Beziehungen können vermehrt online gepflegt werden. Auch wenn die Digitalisierung uns hilft, mit Menschen in Kontakt zu bleiben, so führt sie doch dazu, dass wir unsere realen Kontakte vernachlässigen. Das kann dazu führen, dass wir uns im echten Leben immer einsamer fühlen.

Der dritte Hauptfaktor ist die Wirtschaft. Diese hätte auf den ersten Blick allen Grund, Einsamkeitsgefühle einzudämmen. Schliesslich kosten kranke Arbeitnehmende. Gleichzeitig wünscht sich die Wirtschaft eine Einzelperson, die keine Energie für soziale Bindungen aufwendet. Im Klartext: Jemanden ohne Familie, ohne Freundeskreis oder soziale Verankerung, der oder die bereit ist, alles für den Job zu geben. Dass diese Art Leben langfristig krank macht, liegt auf der Hand.

Was können wir gegen Einsamkeit tun?

Verschiedene Akteure haben sich dem Thema angenommen. Private Vereine und kleinere Institutionen gehen voran. Mehrgenerationen-Projekte, Alters-Wohngemeinschaften und politische Initiativen setzen aktive Akzente im Bereich Alters-Einsamkeit.

Aber auch mit scheinbar kleinen Massnahmen kann man vieles erreichen. Wichtig ist, dass man diesen Gefühlen Raum eingesteht. Auch negative Gefühle gehören zum Leben. In einem zweiten Schritt hilft es, darüber zu reden. Dann merkt man häufig, dass man gar nicht so allein ist, wie man glaubt.

Veranstaltung - Aktionstage Psychische Gesundheit

Ob alt, jung, alleinstehend, in einer Beziehung oder bestens vernetzt: Einsamkeit kann alle Menschen treffen. Nach einem Fachinput zum Thema «Einsamkeit und soziale Isolation» von Prof. Dr. André Fringer beleuchten wir in einer Podiumsdiskussion mit Fachpersonen die vielen Facetten von Einsamkeit. Diskutieren Sie mit und lassen Sie uns gemeinsam den «Einsamkeiten» entgegentreten. Die Veranstaltung ist kostenlos.

Wann: Dienstag, 19. September 2023, 18 – 20 Uhr

Wo: Alter Gemeindesaal, Metzgplatz 2, 5600 Lenzburg

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