Gratwanderung zwischen Motivation und Respekt

Als Betreuerin beim Entlastungsdienst hilft Helene Marbet älteren und demenzbetroffenen Personen, ihre Fähigkeiten zu erhalten. Das ist nicht immer einfach, aber eine grosse Entlastung für die Angehörigen.
Ein fröhliches Duo: Marlene Hansen* und ihre Betreuerin Helene Marbet haben ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt.

«Ach ne, heute hab ich keine Lust», antwortet Marlene Hansen* in ihrem breiten Bremer Dialekt, den sie auch nach 60 Jahren in der Schweiz nicht verloren hat. «Dabei bist du doch eine so sportliche und starke Frau», versucht Betreuerin Helene Marbet die Seniorin zu animieren. Doch ihr steht der Sinn heute nicht nach einem Spaziergang. «Nein ich will nicht, ich bin alt genug», verkündet die 91-Jährige.

Nicht um jeden Preis

In den sechs Jahren als Betreuerin beim Entlastungsdienst und bei der Kinderbetreuung des Aargauer Roten Kreuzes hat Helene Marbet schon öfters solche Situationen erlebt. «Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Motivation und Respekt vor der Selbstbestimmung», erklärt sie. Es sei zwar ihr Ziel, bei den Tätigkeiten mit ihren Klienten, deren Fähigkeiten zu stärken, aber nicht um jeden Preis.

Und so wird aus dem geplanten Treppentraining draussen eben ein Auf- und Abgehen auf der Terrasse der Buchser Wohnung. «Das ist das Schöne beim Rotkreuz-Entlastungsdienst», findet die ehemalige Primarlehrerin, «ich kann mich ohne Zeitdruck auf mein Gegenüber einlassen.» Also zieht sie ihrer Klientin in aller Ruhe die Turnschuhe an, hängt sich bei ihr ein und die beiden drehen lachend ein paar Runden auf dem Balkon.

Erholung für Angehörige

So wie Marbet kümmern sich bei den Rotkreuz-Entlastungsdiensten Lumicino und Dementia Care insgesamt 35 speziell geschulte Betreuerinnen stundenweise um pflegebedürftige oder demenzerkrankte Menschen. Sie besuchen die Betroffenen regelmässig zu Hause und gestalten gemeinsam mit ihnen den Alltag, während die Angehörigen sich erholen können. Im Fall von Marlene Hansen ist das primär ihre Tochter Carmen Scheller*.

Unglaubliche Leistung

«Dort drüben wohnt sie», erzählt die Seniorin und zeigt vom Balkon aus auf das gegenüberliegende Haus. «Wir sind eine tolle Familie. Wir sind füreinander da.» Für die alleinstehende Buchserin ist die Familie Dreh- und Angelpunkt ihrer Welt. Zurück in der Wohnung zeigt sie auf ein Foto ihres Urenkels und berichtet strahlend: «Das ist Omas kleiner Schnügel. Wir haben‘s immer lustig zusammen.»

«Ohne die Hilfe ihrer Tochter, die sie mehrmals am Tag besucht, könnte Marlene nicht mehr zu Hause wohnen», betont Betreuerin Marbet. Sie bewundert das Engagement von pflegenden Angehörigen wie Scheller. «Oft müssen sie sich in eine völlig neue Rolle einleben und leisten dabei Unglaubliches».

Bevor die Kräfte versiegen

Um bei der intensiven Pflege die eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen, sei es wichtig, Entlastungsangebote in Anspruch zu nehmen, empfiehlt Marbet. «Am besten bevor die eigenen Kräfte oder die der Angehörigen versiegen.»

Das braucht Mut, denn pflegebedürftige Personen lehnen fremde Hilfe oft ab. «Diese Skepsis legt sich jedoch schon beim ersten Besuch», berichtet die 58-Jährige von ihrer Erfahrung. Aus der anfänglichen Scheu werde dann eine herzliche und vertraute Beziehung. So auch bei ihr und Hansen. «Wir schnattern und lachen viel», erzählt die 91-Jährige beim Teetrinken in der Stube und streicht ihrer Begleiterin liebevoll übers Gesicht. «Ja, wir haben‘s schön.»

* Namen geändert

Sie interessieren sich für den Rotkreuz-Entlastungsdienst? Weitere Informationen finden Sie unter www.srk-aargau.ch/entlastungsdienste. Oder erkundigen Sie sich direkt beim Aargauer Roten Kreuz per E-Mail an entlastungsdienst@srk-aargau.ch oder telefonisch unter 062 544 03 03.